Christliche Bibel oder Jüdische Bibel – mit welcher Tradition steht der Koran im Gespräch? (A05)
Der Koran begegnet durch die Geschichte nur in einer einzigen Gestalt. Es gibt keine Apokrypha zum Textus receptus noch theologisch substantiell divergierende Lektüren seitens der Rezipienten. Dieser Sachverhalt lenkt leicht ab von dem Faktum, dass die vorausgehende – biblische – Tradition bereits auf zwei substantiell verschiedenen Manifestationen der Bibel basiert, einer christlichen und einer jüdischen. Beide Lektüren der Bibel haben sich im 7. Jahrhundert bereits weit auseinander entwickelt; im christlichen Verständnis – am stärksten ausgeprägt in der allegorisierenden alexandrinischen Tradition – hat die neue christologische Lektüre die jüdische, die auf den Debatten dialektisch argumentierender Rabbinen beruht, ersetzt. Wenn die jüdische Lektüre im christlich dominierten Denkraum der Spätantike aber auch vielerorts an Terrain verlor, so muss diese dogmatische Entscheidung doch für das peripher gelegene Entstehungsmilieu des Koran im Hidjaz, wo es autonome jüdische Gemeinden gibt, nicht als verbindlich vorausgesetzt werden…