Aristotelische Verhandlungen. Verflechtung von Tragödientheorie und Wissensgeschichte
Im Zuge der Beschäftigung mit dem Verlauf und Ausgang der aristotelischen Verhandlungen, d. h. der tragödientheoretischen Kontroversen um den scheinbaren Widerspruch zwischen Kapitel 13 und 14 von Aristoteles’ „Poetik“ zwischen Renaissance und Aufklärung, ist deutlich geworden, dass die Begünstigung der Poetik des harten Pathos (Kapitel 13) und die Marginalisierung der Poetik des weichen Pathos (Kapitel 14) neben den spezifischen theoriegeschichtlichen auch allgemeine wissensgeschichtliche Ursachen haben. Die Schwierigkeit des Arguments von Kapitel 14 lag nicht nur in seinem ‚Widerspruch‘ zu dem von Kapitel 13, sondern in noch viel grundsätzlicherer Hinsicht in seiner augenfälligen Diskrepanz zu einem autoritativ tradierten Wissen, das als das Stereotyp des unglücklichen Tragödienausganges bezeichnet werden kann. Dieses der philologischen Faktenlage hohnsprechende Stereotyp wurzelt in einer bis weit in die Antike zurückreichenden Wissenstradition, die die mittelalterliche Vorstellung von Tragödie (und Komödie) ohne jeden Bezug zu Drama und Theater systematisch mitgeprägt hat und noch heute in der populären Auffassung der Tragödie übermächtig nachwirkt. Allein schon angesichts dieses Stereotyps musste das Argument von Kapitel 14 zum Problem werden, schien es doch eindeutig den glücklichen Ausgang zu priorisieren. Diese Beobachtungen führen zu einer Problemstellung, die im Rahmen des Erstantrages nicht vorgesehen war, für die Endqualität des Projektes jedoch entscheidend erscheint.