Chronos und Chthoniê
Das Teilprojekt untersucht Narrative des Anfangs und der Gründung, also Aitiologien im weiteren Sinne, sowohl in der griechischen Antike als auch in der modernen Kultur- und Mythentheorie. Dabei soll eine Systematisierung der Typen und Funktionen anfänglichen Erzählens und mythologischer Vergangenheitskonstruktionen vorgenommen werden. Von besonderem Interesse ist die Frage, ob und in welchen Kontexten Anfänge als unhintergehbar, auratisch und linear-legitimierend ausgewiesen werden und wann und warum sie durch Umwegigkeit, ein szenisches Narrativ oder durch einen Bruch problematisiert werden.
Für die Antike soll die Reichweite des Aitiologie-Konzepts sowohl für kosmogonische Narrative (u.a. Hesiod, Vorsokratiker), als auch für solche der politischen Gründung (u.a. Pindar, Tragödie) überprüft werden. Dabei scheint eine Verbindung zwischen beiden Figurationen in Vorstellungen der Autochthonie bzw. der Urpotenz Gaia (auch: Chthoniê) auf, die religionswissenschaftlich eingeordnet werden sollen. Mit Blick auf moderne Theorien des Mythos soll vergleichend nach den grundsätzlichen Zeitkonzepten gefragt werden, in die der Mythos eingebettet ist, sowie nach dem Verhältnis von Erzählen und Erklärung, das ihm zugeschrieben wird. Welche spezifischen Vorstellungen von Zeit, Fortschritt, Kontinuität oder Regress werden in antiken Vergangenheitsnarrativen entwickelt und wie werden diese in der modernen Rede vom Mythos aufgegriffen oder neu besetzt? Nicht zuletzt soll im Projekt der Zirkel bedacht und diskutiert werden, der darin besteht, dass unser Blick auf antike Mythen immer durch die moderne Konstruktion des Konzepts mitbestimmt ist.